Geschichte der Mikrokalorimetrie

Julienne Regele | Calliste Scholl | Morgan Ulrich
November 17, 2023

Die Anfänge der Kalorimetrie und Mikrokalorimetrie

Im 18. Jahrhundert beschäftigten sich viele Wissenschaftler mit dem Wesen von Wärme. Isaac Newton glaubte, dass Wärme durch die Schwingungen von Teilchen übertragen wurde, während Robert Hooke die Ansicht vertrat, Wärme sei eine Eigenschaft des Körpers, die aus der Bewegung seiner Teile entsteht.1 Den ersten offiziellen Beitrag zur Geschichte der Wärmemessung leistete jedoch der schottische Arzt und Chemiker Joseph Black.1 1761 entdeckte er durch präzise Messungen, dass die Zufuhr von Wärme zu Eis bei dessen Schmelzpunkt oder zu Wasser bei dessen Siedepunkt nicht zu einer Temperaturänderung führt.1 Seine Beobachtungen machten ihn zum ersten Wissenschaftler, der zwischen Temperatur und Wärme differenzierte. Damit läutete er den Beginn der Thermodynamik ein.

Viele bedeutende Wissenschaftler traten in die Fußstapfen von Joseph Black und trugen zur Entdeckung der Kalorimetrie und Mikrokalorimetrie bei. Antoine Lavoisier baute 1789 das erste Kalorimeter und stellte anhand der gesammelten Daten fest, dass der Atmungsprozess eine Verbrennungsreaktion ist.1 Die erste exakte Wärmemessung wird allerdings James Prescott Joule zugeschrieben. Er bestimmte 1841 das mechanische Wärmeäquivalent von 4,184 J pro Kalorie Arbeit, um die Temperatur von 1 Pfund Wasser um ein Grad Fahrenheit zu erhöhen.1 Mit seiner Arbeit bewies Joules, dass Wärme eine messbare Energieform ist. Zusammengenommen führten diese bedeutenden Meilensteine zur Entstehung der modernen Kalorimetrie und Mikrokalorimetrie.

Moderne Geschichte und Anwendungen

Der erste maßgebliche Beitrag zur modernen Kalorimetrie war Ende der 1920er Jahre das Kawakami-Kalorimeter zur Messung der Mischungswärme von Legierungen.1 Fast zehn Jahre später wurde das erste adiabatische Reaktionskalorimeter zur Messung der direkten Syntheseprozesse intermetallischer Verbindungen konstruiert.1 Mit fortschreitender Technologie wurde es schließlich möglich, Reaktionen im Nanomaßstab zu messen – durch Mikrokalorimetrie.

Die Mikrokalorimetrie erwies sich als entscheidende Grundlage für die Bewertung und Ableitung der Wärmeübertragung, die mit Veränderungen des Körperzustands beispielsweise aufgrund einer chemischen Reaktion oder einer physikalischen Veränderung einhergeht. In jüngster Zeit hat sich diese Technik insbesondere bei der biophysikalischen Charakterisierung molekularer Wechselwirkungen zum Verständnis von Struktur-Funktions-Beziehungen als nützlich erwiesen. Folgende Charakteristika sind messbar:

  • Enthalpie
  • Gleichgewichtskonstante
  • Entropie
  • Gibbs-Energie (freie Enthalpie)
  • Bindungsstöchiometrie

In Kombination mit Strukturinformationen lieferte die Mikrokalorimetrie eine große Vielfalt an wichtigen Erkenntnissen, die für rationale Arzneimitteldesigns unverzichtbar sind.

Derzeit werden hochempfindliche Mikrokalorimeter wie zum Beispiel für die isotherme Titrationskalorimetrie (isothermal titration calorimetry, ITC) und die Nano-Differenzial-Scanning-Kalorimetrie (differential scanning calorimetry, DSC) am häufigsten eingesetzt. Die isotherme Titrationskalorimetrie erwies sich als wichtigste Methode zur Messung der während einer Reaktion freigesetzten oder verbrauchten Wärmemenge, und ihre häufige Anwendung beruht auf ihrer Fähigkeit, alle thermodynamischen Parameter direkt und schnell zu bestimmen, ohne dass eine chemische Markierung oder Immobilisierung erforderlich ist.2 Dadurch ist die isotherme Titrationskalorimetrie eine hervorragende In-Solution-Methode, die sich für trübe, farbige Lösungen oder Partikelsuspensionen in einer Vielzahl von Anwendungen einsetzen lässt.2

Die Nano-Differenzial-Scanning-Kalorimetrie gilt als eine der wichtigsten Methoden für die thermische Analyse, einschließlich der Analyse thermischer Materialeigenschaften und der Schmelztemperatur von Biomolekülen.3 Die gewonnenen Daten sind für das Design und die Entwicklung von Arzneimitteln von großem Wert.

Die Anwendungsfreundlichkeit dieser Kalorimeter in Kombination mit unterschiedlicher Datenanalysesoftware ermöglicht es, genauere Messungen durchzuführen, die der Analyse insgesamt zugutekommen.

Verwendung bei der Entwicklung biologischer Arzneimittel

Bei der Arzneimittelentwicklung ist es wichtig zu klären, wie das Arzneimittel mit seinem Zielmolekül interagiert. Dieser Aspekt wird in den späten Phasen der Entdeckung bis hin zur Vorformulierung mithilfe von isothermer Titrationskalorimetrie untersucht, um Aufschluss über die treibenden Kräfte hinter der Wechselwirkung zu erlangen, bevor mit der weiteren Entwicklung fortgefahren wird. In der Regel besteht das Ziel darin, am Ende ein Medikament zu erhalten, das spezifisch an sein Ziel bindet. Dies trägt dazu bei, unerwünschte Nebenwirkungen zu verringern.
Die Bindungsspezifität kann aus dem thermodynamischen Profil der charakterisierten Wechselwirkung bestimmt werden. Die freie Bindungsenergie (∆G) setzt sich aus zwei Teilen, der Enthalpie (∆H) und der Entropie (∆S), zusammen. Enthalpie-bedingte Wechselwirkungen sind spezifischer, da diese Wärme von Van-der-Waals-Wechselwirkungen und Wasserstoffbrückenbindungen stammt, die sich in der Bindungstasche bilden. Anders dagegen Hydrophobie-bedingte Wechselwirkungen, die Teil der Entropie-Komponente sind. Die isotherme Titrationskalorimetrie wird auch zur Untersuchung der Enzymkinetik verwendet, ohne dass Farbstoffe oder Immobilisierung erforderlich sind.

Enzyme sind eine besondere Klasse von Therapeutika, da sie nicht nur an ihr Ziel binden, sondern dieses Ziel auch in ein Produkt umwandeln. Bei einem enzymatischen Experiment wird die isotherme Titrationskalorimetrie verwendet, um die vom Enzym während dieses Prozesses erzeugte Wärme zu überwachen. Vmax, die maximale Katalysegeschwindigkeit, und Km, die Substratkonzentration, die erforderlich ist, um die halbmaximale Geschwindigkeit zu erreichen, lassen sich analytisch bestimmen. Anhand dieser Werte können Enzyme mit erhöhter Wirksamkeit und Spezifität entwickelt werden.

Nachdem ein Pool von Kandidaten für den weiteren Entwicklungsprozess ausgewählt wurde, ist es wichtig, Aufschluss über die Konformationsstabilität und die Struktur höherer Ordnung des Moleküls zu erhalten. Dies dient als Grundlage für die Untersuchung des Moleküls in verschiedenen Entwicklungsstadien. Die Standardmethode zur Messung ist die Bestimmung der Schmelztemperatur (TM) mittels Nano-Differenzial-Scanning-Kalorimetrie. Die Schmelztemperatur (TM) eines Biomoleküls hängt vom Formulierungspuffer ab. Es ist gängige Praxis, verschiedene pH-Werte, Salzkonzentrationen, Hilfsstoffe und Tenside zu testen. Daher wird ein Screening durchgeführt, um festzustellen, ob das Molekül unter bestimmten Bedingungen stabilisiert oder destabilisiert wird. Die Formulierung wird so lange verändert, bis eine gewünschte Schmelztemperatur (TM) erreicht ist und gleichzeitig die Aggregation minimiert wird. Wichtig ist auch, während des Herstellungsprozesses die Struktur höherer Ordnung zu überwachen, um chargenbedingte Abweichungen zu minimieren und sicherzustellen, dass tatsächlich das gewünschte Produkt hergestellt wird.

Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Mikrokalorimetrie auf einer langen Reihe von Innovationen beruht, die das Verständnis von Werkstoffen und biologischen Prozessen geprägt haben. Die Tools und Techniken in der Mikrokalorimetrie, die heute bei der Entwicklung biologischer Arzneimittel eingesetzt werden, haben es ermöglicht, lebensrettende Medikamente zu entdecken und zu entwickeln. Die isotherme Titrationskalorimetrie und die Nano-Differenzial-Scanning-Kalorimetrie sind zwei Messmethoden, die Aufschluss darüber geben können, wie ein Biomolekül mit seiner exponierten Umgebung interagiert, und wichtige Erkenntnisse während des Arzneimittelentwicklungszyklus liefern.

Literaturhinweise

  1. Meschel, S. V. „A Brief History of Heat Measurements by Calorimetry with Emphasis on the Thermochemistry of Metallic and Metal-Nonmetal Compounds.“ Calphad, vol. 68, 1 Mar. 2020, p. 101714, https://doi.org/10.1016/j.calphad.2019.101714.
  2. Bou-Abdallah, Fadi. „Microcalorimetry in the BioSciences—Principles and Applications.“ Biochimica et Biophysica Acta (BBA) – General Subjects, vol. 1860, no. 5, May 2016, pp. 859–860, https://doi.org/10.1016/j.bbagen.2016.02.004.
  3. H. Zhu, L. Wang, J. Feng et al., The development of ultrasensitive microcalorimeters for bioanalysis and energy balance monitoring, Fundamental Research, https://doi.org/10.1016/j.fmre.2023.01.011