Sicherheitsprüfung von Kathoden- und Anodenmaterialien für Lithium-Ionen-Batterien mittels dynamischer Differenzkalorimetrie

Schlüsselwörter: DSC, dynamische Differenzkalorimetrie, Lithium-Ionen-Batterien, thermisches Durchgehen, Kathode, Anode

TA467-DE

Abstract

Thermisches Durchgehen („Runaway“) bei Lithium-Ionen-Batterien ist ein erhebliches Sicherheitsproblem. Es kann auftreten, wenn Elektrodenmaterialien exotherme Reaktionen eingehen, die zu einem Temperaturanstieg und einer beschleunigten Reaktionskinetik führen. Der Ladezustand einer Batterie beeinflusst bekanntlich die Induktionstemperatur und den Mechanismus von Reaktionen sowie die reaktionsbedingte Energiefreisetzung. Mithilfe der dynamischen Differenzkalorimetrie (Differential Scanning Calorimetry, DSC) kann die thermische Stabilität von Kathoden- und Anodenmaterialien bei verschiedenem Ladezustand geprüft werden. Die Reaktionsinduktionstemperatur sowie die maximale Reaktionstemperatur und die freigesetzte Energie lassen sich durch Scannen von Materialien über einen Temperaturbereich mithilfe der dynamischen Differenzkalorimetrie bestimmen. In diesem Anwendungshinweis wurden eine Kathode aus Lithium-Nickel-Mangan-Kobalt (Nickel Manganese Cobalt, NMC) und eine Anode aus Graphit geprüft, wobei eine höhere Reaktionsenergie in der Kathode und eine zunehmende thermische Stabilität mit abnehmendem Ladezustand festgestellt wurden.

Einführung

Lithium-Ionen-Batterien (LIB) werden aufgrund ihrer vorteilhaften Eigenschaften, zum Beispiel der hohen Energiedichte, bei vielen Anwendungen eingesetzt. Sicherheitsaspekte machen bei Lithium-Ionen-Batterien jedoch Batteriemanagementsysteme erforderlich. Wenn eine Batterie überladen, hohen Temperaturen ausgesetzt oder kurzgeschlossen wird, kann es zu thermischem Durchgehen („Runaway“) kommen. Wenn eine bestimmte kritische Temperatur erreicht ist, kommt es zu exothermen Reaktionen, die zu einem weiteren Temperaturanstieg und dadurch zu einer weiteren Beschleunigung der Reaktionskinetik führen. Thermisches Durchgehen hat dramatische Folgen und führt zur Bildung giftiger Gase und zur Entzündung der Batterie.

Es wurde festgestellt, dass der Ladezustand (State-of-Charge, SOC) einer Lithium-Ionen-Batterie direkten Einfluss auf das thermische Durchgehen hat. Unterschiede im Ladezustand verändern die thermische Konfiguration der Batteriezelle, sodass bei Batterien mit niedrigerem Ladezustand die thermische Gefahr kleiner ist, da die Reduzierung der Ladung die potenzielle Energiefreisetzung senkt [1] [2]. Auch die in der Batterie verwendeten Materialien wirken sich auf das thermische Durchgehen aus. Die Kenntnis der Induktionstemperaturen in Bezug auf thermisches Durchgehen für verschiedene Formulierungen und den Ladezustand ist somit wichtig für die Art und Weise des thermischen Managements und die Verhinderung von thermischem Durchgehen.

Der Wärmefluss von Elektrodenmaterialien kann mithilfe der dynamischen Differenzkalorimetrie gemessen werden. Exotherme Reaktionen, die zu einem thermischen Durchgehen führen, sind durch Scannen über einen bestimmten Temperaturbereich erkennbar. Der Einfluss des Ladezustands von Materialien auf die Induktionstemperatur und die Menge an freigesetzter Energie kann gemessen werden, was die dynamische Differenzkalorimetrie zu einem nützlichen Tool bei der Bewertung der Batteriesicherheit macht.

Experimente

Es wurden Batterien von der NEI Corporation mit unterschiedlichem Ladezustand mit einer NMC811-Kathode und einer Graphit-Anode verwendet. Vor dem Test wurde die Batterie geöffnet und die Elektrode mit Dimethylcarbonat (DMC) gewaschen, um Elektrolyte zu entfernen. Damit wird sichergestellt, dass bei den Messungen nur die Kathoden- und Anodenmaterialien geprüft werden, ohne den Elektrolytabbau zu erfassen [3]. Nach dem Trocknen der Elektrode wurden die aktiven Anoden- und Kathodenmaterialien zum Testen vom Stromkollektor entfernt. Zum Vergleich mit den geladenen Proben wurden die Kathoden- und Anodenproben im Lieferzustand den gleichen Wasch- und Trocknungsverfahren wie die Ladezustand-Proben unterzogen.

Zur Messung des Wärmeflusses der Elektrodenmaterialien wurde ein dynamisches Differenzkalorimeter von TA Instruments verwendet. Etwa 5 mg Probe wurden jeweils in den neuen, für hohe Temperaturen und hohen Druck geeigneten Tiegel (Art.-Nr. 900803.901) gegeben und mit 5 °C/min auf 450 °C erhitzt. Mit der TRIOS Software wurden die Induktionstemperatur, die Reaktionswärme (Enthalpie) und die maximale Temperatur analysiert.

Ergebnisse und Diskussionen

In Abbildung 1 sind die Induktionstemperaturen für die vollständig geladene Nickel-Mangan-Kobalt-Kathode und die Graphit-Anode dargestellt. Die erste Induktionstemperatur, d. h. die erste exotherme Verschiebung in der Basislinie, hängt oft mit dem anfänglichen Abbau der Feststoff-Elektrolyt-Grenzphase (Solid Electrolyte Interface, SEI) zusammen, was dann zu unerwünschten exothermen Reaktionen führen kann. Die Anode hat mit 82 °C eine niedrigere Induktionstemperatur, was typisch für herkömmliche Graphit-Anoden ist. Der Abbau der Feststoff-Elektrolyt-Grenzphase von Graphit-Anoden beginnt häufig bei Temperaturen zwischen 80 °C bis 120 °C [4].

Figure 1. Onset temperatures of NMC cathode and graphite anode at 100% SOC.
Figure 1. Onset temperatures of NMC cathode and graphite anode at 100% SOC.

Trotz der niedrigeren Induktionstemperatur ist die Graphit-Anode insgesamt weniger energetisch als die Nickel-Mangan-Kobalt-Kathode, wie in Abbildung 2 an der kleineren Fläche unter dem Graphit-Wärmeflusssignal erkennbar ist. Diese Fläche entspricht der Reaktionsenthalpie und kann durch Integration der Wärmefluss-Signalkurve berechnet werden. Bei einem Ladezustand von 100 % hat die Nickel-Mangan-Kobalt-Kathode eine Enthalpie von 1618 J/g und die Graphit-Anode von 345 J/g. Bei einem Ladezustand von 100 % sind die exothermen Reaktionen an der Nickel-Mangan-Kobalt-Kathode energetischer als an der Graphit-Anode. Exotherme Reaktionen im Zusammenhang mit dem Abbau der Kathodenmaterialien treten bei 227 °C, 321 °C und 378 °C auf. Nickel-Mangan-Kobalt wird oberhalb von 270 °C thermisch instabil und setzt Sauerstoff frei [5]; die Peaks bei 321 °C und 378 °C könnten das Resultat dieser thermischen Instabilität sein. Die vollständig geladene Graphit-Anode weist eine viel schwächere exotherme Reaktion bei 268 °C auf. Die höhere Energiefreisetzung der Kathodenreaktionen führt mit größerer Wahrscheinlichkeit zu einem thermischen Durchgehen und einer Ausbreitung über die Batterien hinweg.

Figure 2. Heat flow signal of the NMC cathode
Figure 2. Heat flow signal of the NMC cathode
graphite anode (bottom) at 100% SOC.

In Abbildung 3 ist das Wärmeflusssignal der Nickel-Mangan-Kobalt-Kathode bei verschiedenem Ladezustand gezeigt. Die thermische Stabilität steigt mit Verringerung des Ladezustands. Bei 50 % Ladezustand verlagerte sich der Hauptpeak des exothermen Ereignisses von 378 °C auf 416 °C und es wurde weniger Energie freigesetzt als bei 100 % Ladezustand. Mit dem ungeladenen Kathodenmaterial fanden keine exothermen Reaktionen statt.

Wie in Abbildung 4 gezeigt ist, folgte die Anode demselben Trend. Sobald sich der Ladezustand der Anode verringerte, ging auch der entsprechende Wärmefluss zurück. Die exotherme Reaktion setzte bei 50 % Ladezustand weniger Energie frei als bei
100 % Ladezustand. In Tabelle 1 ist die Enthalpie pro Einheitsmasse für beide Materialien bei verschiedenem Ladezustand gezeigt.

Table 1. Enthalpy of reactions at various SOC for the NMC cathode and graphite anode

Enthalpy (J/g) Nickel-Mangan-Kobalt-Kathode Graphit-Anode
0% SOC 72.1 49.8
50% SOC 625 216
100% SOC 1618 345
Figure 3. Overlay of heat flow signal for the NMC cathode as received and at 100%, 50%, 0% SOC.
Figure 3. Overlay of heat flow signal for the NMC cathode as received and at 100%, 50%, 0% SOC.
Figure 4. Overlap of the heat flow signal for the graphite anode as received and at 100%, 50%, and 0% SOC.
Figure 4. Overlap of the heat flow signal for the graphite anode as received and at 100%, 50%, and 0% SOC.

Im ungeladenen Zustand ist die Reaktionsenthalpie der Graphit-Anode und der Nickel-Mangan-Kobalt-Kathode ähnlich. Bei dieser Batterie ist jedoch die an der geladenen Graphit-Anode freigesetzte Energie deutlich geringer als die der geladenen Nickel-Mangan-Kobalt-Kathode, was zeigt, dass an der Kathode ein höheres Risiko für thermisches Durchgehen besteht. Die voll geladene Kathode gibt mehr als dreimal so viel Energie ab wie die voll geladene Anode, und diese Energiefreisetzung löst mit größerer Wahrscheinlichkeit Reaktionen in der Batterie aus, die zu thermischem Durchgehen führen. Es ist wichtig, dass beide Elektroden geprüft werden, um festzustellen, welche Materialien höhere Risikofaktoren aufweisen und welche Temperaturen zu vermeiden sind. Die Batterie muss im vollständig geladenen Zustand unterhalb der Induktionstemperatur bleiben, um sicherheitsgefährdende negative Auswirkungen und thermische Instabilität zu vermeiden. Die Ergebnisse der dynamischen Differenzkalorimetrie geben Aufschluss über sicherheitsrelevante Eigenschaften von Batteriematerialien und helfen somit bei der Entwicklung von Systemen für die thermische Kontrolle.

Fazit

Die dynamische Differenzkalorimetrie kann zur Sicherheitsanalyse von Elektrodenmaterialien hinsichtlich thermischem Durchgehen verwendet werden. Die Temperatur von Reaktionen, die zu einem thermischen Durchgehen führen können, kann ebenso bestimmt werden wie die Menge an Energie, die bei den Abbaureaktionen freigesetzt wird. Es wurden Elektroden mit unterschiedlichem Ladezustand (100 %, 50 %, 0 %) analysiert, wobei die Nickel-Mangan-Kobalt-Kathode bei 100 % Ladezustand das höchste Risiko für thermisches Durchgehen und Ausbreitung über Batterien hinweg aufwies. Bei Verringerung des Ladezustands auf 50 % wurde das Nickel-Mangan-Kobalt-Material thermisch stabiler, und die exotherme Reaktion fand erst bei einer höheren Temperatur statt. An der Graphit-Anode war zwar der gleiche Trend hinsichtlich des Ladezustands festzustellen, die Energieabgabe war aber deutlich niedriger als an der Kathode.

Literaturhinweise

  1. L. Torres-Castro, A. Kurzawski, J. Hewson and J. Lamb, “Passive mitgation of cascading propagation in multi-cell lithium ion batteries,” Journal of the Electrochemical Society, vol. 167, no. 9, 2020.
  2. A. W. Golubkov, S. Scheikl, R. Planteu, G. Voitic, H. Wiltsche, C. Stangl, G. Fauler, A. Thaler and V. Hacker, “Thermal runaway of commercial 18650 Li-ion batteries with LFP and NCA cathodes- impact of state of charge and overcharge,” RSC Advances, vol. 5, pp. 57171-57186, 2015.
  3. Z. Zhang, D. Fouchard and J. R. Rea, “Differential scanning calorimetry material studies: implications for the safety of lithium-ion cells,” Journal of Power Sources, vol. 70, pp. 16-20, 1998.
  4. X. Feng, M. Ouyang, X. Liu, L. Lu, Y. Xia and X. He, “Thermal runaway mechanism of lithium ion battery for electric vehicles :A review,” Energy Storage Materials, vol. 10, pp. 246-267, 2018.
  5. K. Kim, D. Kam, C. C. Nguyen, S.-W. Song and R. Kostecki, “Study on the Dominant Film-Forming Site Among Components of Li(Ni1/3Co1/3Mn1/3)O2 Cathode in Li-ion Batteries,” Bulletin of the Korean Chemical Society, vol. 32, no. 8, 2011.

Danksagung

Dieser Anwendungshinweise entstand in Zusammenarbeit zwischen der NEI Corporation (Somerset, New Jersey) und TA Instruments. Er wurde von Jennifer Vail, PhD, und Hang Lau, PhD, New Market Development Scientific Lead bei TA Instruments, verfasst.

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